Thomas R. Henschel moderiert Symposium mit internationalen Wissenschaftlern und Künstlern

Was, wenn wir wüssten – wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass die Party im Jahr 2026 zu Ende ist, dass eine Bank oder ein Algorithmus oder ein Land die Weltwirtschaft vor die Wand fährt – was würden wir tun? Hier und jetzt, was würden wir unternehmen?

WELCHE ZUKUNFT?! ist ein interdisziplinäres, partizipatives Recherche- und Theaterprojekt, das sich zur Aufgabe gestellt hat, diese Frage zu beantworten: Was können wir tun, um zu verhindern, dass uns eine nächste Finanz- und Wirtschaftskrise endgültig den Boden unter den Füßen wegzieht?

Zusammen mit internationalen WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und dem Publikum erforscht die vierteilige Veranstaltungsreihe den Zusammenhang von Wissen, Vorhersage und Gestaltung und erzählt dabei die Geschichte der nächsten 10 Jahre: von 2018 bis 2028. Irgendwo zwischen Agora, Science-Fiction, mathematischem Modell und dem Zufall liegt die Geschichte der Zukunft. Müssen wir nicht zumindest eine Vorstellung von ihr haben, um sie zu ändern?

Andres Veiel und Jutta Doberstein wollen eine Debatte über unsere Zukunft anregen

Ziel ist es, aus der Stagnation heraus zu treten, die permanente Gegenwart zu verlassen und eine Debatte über unsere Zukunft anzuregen. Fahren wir als Crashtest-Dummies der Geschichte immer wieder gegen dieselbe Wand?

Initiiert wurde das zweijährige Projekt durch den preisgekrönten Autor, Film- und Theaterregisseur Andres Veiel sowie die Autorin Jutta Doberstein. Mit WELCHE ZUKUNFT?! testen sie gemeinsam mit ihrem Team neue Formen der Beteiligung und Mitgestaltung, um zwischen akademisch-wissenschaftlichem Denken und künstlerischer Interpretation einen öffentlichen Dialog über zukünftige Gesellschaften anzustoßen.

Am letzten Wochenende fand jetzt im Kronprinzenpalais in Berlin das große Symposium dieses Projektes statt. Das Symposium ist nach dem Labor vom Frühjahr diesen Jahres die zweite große Wegmarke auf dem Weg der Entstehung eines neuen Theaterstückes von Andres Veiel, das am 28. September 2018 im Deutschen Theater seine Premiere feiern wird.

Am Samstag rekonstruierten die zahlreichen Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und der Aktivisten Szene die Geschehnisse der Finanzkrise. Mit Hilfe des spektakulären, interaktiven Tisches konnte eine Timeline erstellt werden, die die unzusammenhängenden Ereignisse zu einem vielstimmigen und multi-perspektiven Narrativ verdichtete.

Aus der Arbeit im Labor hatten sich zwei große Themenfelder herauskristallisiert: Arbeit und Staat. Thomas R. Henschel eröffnete gemeinsam mit Andres Veiel diesen Tag und moderierte die Plenarien der insgesamt fast 140 Teilnehmenden.

Keine Lehren aus der Finanzkrise gezogen – Alles bleibt wie es ist

Die Rekonstruktion der Finanzkrise hatte ein niederschmetterndes Bild gezeichnet. Zum einen wäre die Krise vermeidbar gewesen, wie Pavlina Tcherneva, Professorin für öffentliche Wirtschaft aus New York, konstatierte, zum anderen wurden die Akteure in aller Regel nicht zur Verantwortung gezogen und Ideen und Ansätze für bessere Regulierungen und Kontrollen abgeschmettert. Einzig Island hat 24 Menschen verurteilt, die dann ihre Strafe im Gefängnis antreten mussten. Alle anderen in Europa und den USA wurden als „to big to jail“ angesehen. Selbst die bereits beschlossene Trennung von Investmentbanking von Privatbanking, deren Verknüpfung eine der wesentlichen Gründe für die Dimension der Krise war, wurde von der EU Kommission wieder aufgehoben. Mit einem Wort: es scheint alles so weiter zu gehen wie vor der Krise. Damit aber, so der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Otto Steinmetz, werde die nächste Krise sicher kommen und wir werden keine Instrumente haben, sie wirkungsvoll zu bekämpfen.

Doch die Zukunft ist noch nicht geschrieben, wir sind durch die Vergangenheit nicht determiniert, sondern unsere Entscheidungen von heute werden Wirkungen in der Zukunft haben. Wie also wollen und können wir unserer Verantwortung heute gerecht werden, welche Zukunft wollen wir haben? Wie wollen wir leben? Damit Neues möglich wird, brauchen Menschen Räume in denen sie sich intensiv austauschen können. Das Neue entsteht nur dialogisch. Die Gestaltung eines Diskurses, die Schaffung von Räumen um Neues zu denken, außerhalb eingeübter Diskussionsrituale, dafür bietet das Theater und die Kunst als Unterbrechungsraum die idealen Voraussetzungen. Doch die Zusammenarbeit von Menschen ist nicht selbstverständlich. Struktur ist eine Bedingung die Freiheit ermöglicht und so schaffte das Format von „Welche Zukunft“ genau die Räume, die für einen intensiven, wertschätzenden Austausch zwischen allen Beteiligten notwendig sind. So konnte jeder und jede mit Neugierde, Offenheit und Respekt für andere Perspektiven in die Gespräche und gemeinsame Arbeit gehen. Auf diese Weise konnte etwas gemeinsam entstehen, was einer alleine nicht schaffen kann.

Neues zu denken heißt neue Möglichkeiten schaffen

Damit das Neue in die Welt kommt, muss es zunächst als eine Möglichkeit gedacht und diskutiert werden. In den Workshops wurden unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende, ergänzenden und auch ausschließende Modelle diskutiert und erarbeitet. Nicht die Schaffung von einfachen Lösungen für hochkomplexe Probleme stand dabei im Fokus, sondern die Gestaltung eines lebendigen Diskurse von Bürgerinnen und Bürgern, die Offenlegung der unterschiedlichen Ansätze, Menschenbilder, Werte und Glaubenssätze, die Diskussion unserer Sehnsüchte und Zielvorstellungen.

Die Vielfalt der Themen reichte dabei von einem „Land ohne Armut“ über das „Bedingungslose Grundeinkommen“ oder eine „staatliche Jobgarantie“ über die Frage, wie die Utopie der „Vereinigen Staaten von Europa“ und die „Weiterentwicklung der Demokratie“ auch und gerade angesichts der Tatsache, dass Algorithmen zu einem neuen Verhältnis von „Macht und Maschinen“ führen.

Transformiert sich der Staat in eine Plattform, auf der die vereinzelten Menschen miteinander Informationen und Dienstleistungen austauschen und zieht sich ansonsten aus allem zurück? Oder wie sieht es mit der erschreckende Vision einer Elite aus, die sich auf selbstgeschaffenen exterritorialen Inseln zurückzieht, und wo nur die, die Anteile besitzen, auch mitbestimmen können. Wie immer man auch „Staat“ denkt, seine Ausgestaltung und Aufgabe hängt in erster Linie von dem ihm zugrunde liegenden Menschenbild ab. Wir wir uns selbst also denken und sehen wollen, gibt uns die Möglichkeit anders und neu in der Welt wirksam zu werden. Es ist daher nicht unerheblich, welches Menschenbild wir zugrunde legen.

Wie kann das Mögliche real werden?

Wir erleben wie so oft in der Moderne die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit. Während in den entwickelten Staaten die „light-out Fabriken“ entstehen, arbeiten die Näherinnen in Bangladesch unter lebensbedrohlichen Bedingungen an Nähmaschinen des 19. Jahrhunderts, um für die Konsumenten hier billige Kleidungsstücke herzustellen. Gleichzeitig nutzen wir Antagonismen und bestehende Begrifflichkeiten, um eine Welt zu beschreiben, die damit einfach nicht mehr fassbar ist. Wir erleben ein Brechen der Bedeutungsachsen und dies verstärkt das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit noch weiter. Denn wenn wir das, was wir wahrnehmen und erleben, nicht angemessen ordnen können, und das heißt eben auch immer, sprachlich benennen und in Beziehung setzen können, verlieren wir die Orientierung. Ohne einen kohärenten Deutungsrahmen, werden wir handlungsunfähig. Da ein Mensch alleine nicht die Vielperspektivität dieser Welt zu erfassen vermag, liegt die Wahrheit bekanntlich im Dialog. Wir sind daher darauf angewiesen, solche Räume für Diskurse zu schaffen. Dabei geht es nicht um einfache, lineare Lösungen und Handlungsanweisungen. Sondern der Diskurs selbst schafft dynamische und temporäre Antworten, die uns wieder handlungsfähig machen. Die Herausforderungen, vor denen wir als Menschheit insgesamt stehen, sind enorm. Das Mögliche unterscheidet sich vom Tatsächlichen nicht wesensmäßig. Doch damit das, was Möglich ist, auch real wird, bedarf es einer gewissen geistigen Anstrengung. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass wir die vielfältigen Herausforderungen meistern können. Unabhängig davon, ob man ein pessimistischer Utopist oder ein optimistischer Dystopist ist. Das Symposium jedenfalls hat deutlich gemacht, dass wir nicht durch die Vergangenheit determiniert sind. Wir sind frei und dazu aufgerufen, uns als die zu entwerfen, die wir sein wollen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Erst das macht uns zu Menschen.

Andres Veiel wird aus den Eindrücken, Diskussionen und Ergebnissen des Labors und des Symposiums ein neues Theaterstück schreiben, das am 28. September 2018 im Deutschen Theater Prämiere hat. Das Humboldt-Forum, das noch seinen Platz und seine Aufgabe sucht, schafft mit diesem Format ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Diskurse im 21. Jahrhundert initiiert und geführt werden können.

Thomas R. Henschel wurde am Ende vom Humboldt Forum nach seiner Einschätzung gefragt. Er findet es wichtig, dass das Humboldt Forum Räume schafft, in denen der Dialog ermöglicht wird, wie wir als Menschen unsere Zukunft in gemeinsamer Verantwortung gestalten wollen. Solche Denk- und Diskursräume zu schaffen ist alles andere als selbstverständlich in einer Zeit, in der die Länge einer Twitter-Nachricht und Echoblasen als ausreichend und erschöpfende Information erscheinen. Damit Menschen miteinander in einen guten Dialog treten können, braucht es unterstützende Strukturen und Formate, denn der wertschätzende Austausch und das gemeinsame Nachdenken finden nicht von alleine statt. Dafür braucht es gegenseitiges Interesse, Neugier, Sehnsucht auf Neues, die Fähigkeit zuzuhören und abweichendes gelten zu lassen. Thomas R. Henschel ist der Meinung, das Andres Veiel und sein Team mit dem Konzept „Welche Zukunft“ ein Beispiel dafür geben, wie solche Räume geschaffen werden können, die den Diskurs fördern. Er hofft sehr, dass das Humboldt-Forum bei seiner Suche nach seiner Aufgabe und seinem Platz die Chance wahrnimmt, die darin liegt, derartige Formate auch für andere Themen und Inhalte zu nutzen, die im internationalen Diskurs einer sich bildenden Weltgesellschaft geführt werden müssen.

weitere Informationen finden Sie auf:  Welche Zukunft: