Symposium und Konferenz in Namibia

„Wann werden die Deutschen endlich mit den Ovahereros und Namas als Gleiche sprechen?“ Die Frage von Maria, einer Vertreterin der Ovahereros, deren Urgroßeltern zu den Opfern des Genozides der Deutschen in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ gehören wiegt schwer. Wir sind in Windhoek auf der ersten Konferenz, in der die Stimmen der Opfer des von deutschen 1904-1908 verübten Genozides an den einheimischen Stämmen erstmals öffentlich sprechen können und Gehör finden.

1904: Der erste Genozide des 20. Jahrhunderts – verübt von Deutschen

1904 befand sich die damalige Kolonie des Deutschen Kaiserreiches in einer nach wie vor fragilen, von vielen Kämpfen und Auseinandersetzungen geprägten Situation wieder. Die deutsche Kolonialmacht versuchte mit allen Mitteln die einheimische Bevölkerung für ihre Zwecke auszubeuten. Dies beinhalte Kooperationen, Druck und Gewalt. Als die Ovahereros dagegen rebellierten, wurde die kleine Schutztruppe der Deutschen davon überrascht. Mit all ihrer kolonialen Überheblichkeit hatte man der einheimischen Bevölkerung eine derartige Aktion nicht zugetraut. Umso fürchterlicher wurde die Reaktion, die der Wiederherstellung der eigenen Superiorität diente. Auf Befehl von General von Throta wurden keine Gefangenen gemacht, sondern bewußt erschossen und die Überlebenden der Gefechte, Männer, Frauen und Kinder in die Wüste getrieben, deren Wasserstellen vergiftet und alle Auswege verschlossen. Über 80.000 Menschen starben auf qualvolle Weise – fast 80% der damaligen Bevölkerung (die Zahlen beruhen auf Schätzungen, die nach wie vor diskutiert werden). Der erste Genozide des 20. Jahrhunderts verübt von Deutschen in Afrika. Die wenigen Überlebenden wurden in Konzentrationslagern zusammengepfercht, wo viele von ihnen an Krankheiten und Unterernährung, oder einfach Vernachlässigung, starben. Ihre Leichen wurden im Wüstensand notdürftig verscharrt und dem Vergessen anheim gegeben. Obgleich vielfältige Quellen die Internationalität der Vernichtung der einheimischen Bevölkerung durch die Führung von Throta belegen, ist der Diskurs über die Frage, ob dies ein Völkermord war oder nicht, noch immer nicht abgeschlossen. Die Vertreter der Opferorganisationen erleben dies als erneute Benachteiligung und erleben wieder ihre Ohnmacht angesichts dieser Perpetuieren post-kolonialen Unrechts.

Allgegenwart kolonialer Vergangenheit 

2004 – 100 Jahre nach dem Genozide – entschuldigte sich die damalige Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Ovahereros und Namas als den Stämmen, die die meisten Opfer zu beklagen hatten. Doch die Bundesregierung beeilte sich, dies als persönliche Meinungsäußerung zu bezeichnen. Bis heute gibt es keine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung.

Die Allgegenwart der deutschen kolonialen Vergangenheit in Windhoek und Swakopmund zeigt eines sehr deutlich: Deutscher Kolonialismus ist nicht Vergangenheit. Die Strukturen von Landnahme, Rassismus und Völkermord ragen tief in die Gegenwart hinein. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerrissenheit eines der am dünnsten besiedelten Länder weltweit. Die Traumatisierung von ganzen Volksstämmen wie den Herrero oder Nama wird in der langen kolonialen Geschichte des Landes zudem überlagert von der südafrikanischen Apartheitspolitik und den globalen neokolonialen Zugriffen auf die Rohstoffe des Landes.

Den Stimmen der Opfer Gehör verschaffen

Die Opferverbände haben vielfach versucht, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Erfolglos. Zwar verhandelt die Bundesregierung seit vielen Jahren mit der Staatsregierung von Namibia. Nur bei diesen Verhandlungen auf staatlicher Ebene sind die Opferverbände nicht vertreten. Die Diskriminierung geht immer weiter – auch heute noch, werden die Opfer zu Opfern gemacht und können nicht mitverhandeln bei Fragen, die zuallererst sie selbst betreffen. Statt das mit ihnen gesprochen wird, wird über sie gesprochen.

Das Recht bietet die Chance, denjenigen, die von der Macht ausgeschlossen sind, Zugang zu ihrem Recht zu verschaffen. Daher suchten die Opferverbände über den Klageweg sich zumindest Gehört zu verschaffen. Dies ist über die Einreichung einer Klage vor einem Bezirksgericht in New York gelungen. Auch wenn die Klage abgewiesen wurde, sie hat weltweite Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen.

Die Verantwortung und Rolle der Zivilgesellschaft

Das European Center for Constitutional Rights hat gemeinsam mit der Akademie der Künste in Berlin Anfang 2018 eine Veranstaltungsreihe zum Unrecht des Kolonialismus aufgelegt. Auf der ersten Konferenz führten die intensiven Auseinandersetzungen zu dem Wunsch der Vertreter der Ovahereros und Namas, ein solches Format auch in Namibia selbst durchzuführen.

Dr. Thomas R. Henschel war auf Einladung der Veranstalter als Mediator bei den Gesprächen in Namibia dabei. Es wurde deutlich, dass die zwischenstaatlichen Verhandlungen, so wichtig sie auch sind, alleine nicht zu einer Lösung der Probleme der Betroffenen führen. Deswegen ist das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure so wichtig. Die Initiatoren und die Bertroffenen sehen eine einzigartige Möglichkeit für die Transformation historischer Traumata nd die Entwicklung einer kulturellen und wissenschaftlichen Emanzipation, beispielsweise durch die Entwicklung eines lebendigen Gedächtnisraumes.

Ohne Dialog wird es keine Lösung geben

Diesen Dialog gilt es fortzuführen. Wir sind mit großer Sorge aus Namibia zurück gekehrt und wir haben dies in einem Brief an die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, den Außenminister, Heiko Maas, und Staatsministerin Frau Michelle Müntefering zum Ausdruck gebracht. Darin fordern wir (das European Center for Constitutional and Human Rights, die Akademie der Künste und die Forschungsstelle Hamburgs (Post-)koloniales Erbe der Universität Hamburg), dass die deutsche Bundesregierung bei der Aufarbeitung des Genozids an den Ovalerer und Nama vor 115 Jahren endlich den Dialog mit den Betroffen suchten, statt nur auf zwischenstaatliche Verhandlungen zu setzen. 

Der Umgang mit Verbrechen von der Dimension eines Genozides braucht mehr: er erfordert die Schaffung von Räumen, in denen die Antagonismen aller Betroffenen verhandelt werden können. Es braucht die Fähigkeit den schmerzhaften Erfahrungen Raum zu geben und zuzuhören und gemeinsam trauern zu können. Dies sind langwierige Prozesse, sie brauchen Geduld und sind zu wichtig, als das wir sienur staatlichen Verhandlungen oder nur den Juristen überlassen dürfen. 

Die Verbrechen lassen sich nicht wieder gut machen, aber wir heutigen sind aufgefordert uns so zu verhalten, dass eine Transformationen möglich wird, die eine bessere Zukunft schaffen kann.

Wir haben uns nunmehr entschlossen, unseren Brief der Öffentlichkeit nicht länger vorzuenthalten.

FORDERUNG NACH DIALOG MIT DEN BETROFFENEN – BRIEF AN DIE BUNDESREGIERUNG