• Kaffee ist ein Lifestile Acessoire geworden – präsentiert wie ein Luxusartikel, zelebriert und es leistet einen großen Beitrag zum Genuss. Gerade die Deutschen sind bereit, viel Geld für ihren Lieblingskaffee auszugeben
  • Kaffee ist aber auch ein Rohstoff – in harter Arbeit aus der Natur gewonnen, oft unter elenden Bedingungen
  • Kaffee ist auch ein Handelsprodukt, dessen Wert erst durch die Verarbeitung gesteigert wird

Ein komplexes Feld, das keine Vereinfachung erlaubt

Es gibt in einem so komplexen Sektor wie dem des Kaffees zahlreiche Herausforderungen. Sie anzupacken und zu meistern erfordert gemeinsame Anstrengungen, die kooperativ und abgestimmt die beste Wirkung erzielen können.

Um das zu erreichen, müssen die Akteure miteinander sprechen. Wie Hannah Arendt es formulierte: Die Wahrheit liegt im Dialog!

Dieser Dialog wird bereits geführt. Er braucht aber immer wieder Räume und Gelegenheiten zur Fortführung.

Brot für die Welt und Misereor hatten diese Woche zu einer Fachtagung geladen. Denn obwohl der Kaffeesektor wie kein anderer mit Nachhaltigkeit und Zertifizierung verbunden wird, hat sich die Situation von Millionen von Kleinbauern verschlechtert. Die Preise für Rohkaffee sind zeitweise unter die Produktionskosten gefallen. Thomas R. Henschel moderierte die Fachkonferenz.

Die Themen sind vielfältig

  • Es bleibt einfach zu viel Geld bei denen, die Kaffee verarbeiten. Dabei gehören auch diejenigen mit ins Boot genommen, die am Ende die Tasse Café für 2-9 Dollar verkaufen.

Es liegt also nicht am Geld, es liegt an der Verteilung des Geldes.

  • Die Zukunft des Kaffee ist auch deshalb gefährdet. Denn wieso sollte eine junge Generation es attraktiv finden, in einem Bereich arbeiten, der keinen Verdienst verspricht?
  • Und als ob das noch nicht genug der Herausforderungen wäre, der Klimawandel wirkt wie eine Potenz auf diese Entwicklungen. Er erfordert enorme Investitionen und Innovationen in einem Bereich, wo die Gewinne überall, aber eben nicht in den Anbauländern verbleiben.

Die Fachtagung ließ Raum für Kontroversen und die unterschiedlichen Perspektiven von Konzernen, Initiativen, Röstern, Zertifizierungsagenten, Expertinnen und auch für die Produzenten, die unter anderem durch  Gerado Alberto de León, dem Geschäftsführer von FEDECOCAGUA, dem Verband von Kaffeekooperativen in Guatemala, einer der ersten Kaffeekooperativen, die zertifizierten Kaffee für den Welthandel herstellen.

Zum Fortschritt im Kaffeesektor gehört, dass die Akteure zumindest miteinander sprechen können – dass der Wille zur Kooperation spürbar ist. Dennoch, es bleiben große Gegensätze zwischen Nord und Süd bestehen. Der Süden verlangt einen Dialog auf Augenhöhe und nicht Zuwendungen und Hilfe. Doch die Überwindung kolonialer Denk- und Handlungsweisen fällt dem Norden weiter schwer. Die Ausbeutung der Rohstoffproduzenten dokumentiert auch im Kaffeesektor eine schockierende Ungerechtigkeit. Die Gewinne werden im Norden abgeschöpft, die Risiken dem Süden aufgebürdet. Zertifizierter Kaffee macht in Deutschland nach wie vor nur 4% des Umsatzes im Handel aus.

Der Staat verzichtet weitgehend auf seine Steuerungskompetenz und beschränkt seine Tätigkeit im Wesentlichen auf die Entwicklungszusammenarbeit. Jetzt werden Ideen, wie ein Verzicht auf die Mehrwertsteuer auf zertifizierten Kaffee diskutiert. Das würde den „guten“ Kaffee günstiger machen. Klingt erstmal gut, doch auf den zweiten Blick ist es ein riskanter Schritt. Wieso soll Kaffee noch günstiger werden, wenn doch die größte Wertschöpfung auf den letzten Zentimetern zur Tasse generiert wird. Selbst wenn der Umsatz mit zertifizierten Kaffee dann steigen würde – wie will man sicherstellen, dass die zusätzlichen Gewinne auch tatsächlich bei den Produzierenden ankommen? Und wieso sollte der Staat auf ein wesentliches Steuerungsinstrument verzichten? Denkbar wäre ja auch, dass die Steuereinnahmen aus dem Kaffeebereich komplett und ohne Abzüge für die Entwicklung eines nachhaltigen Kaffeehandels reinvestiert werden. Dann stände diesem Bereich in Deutschland nicht die bisherigen 350 Mio. Im Jahr zur Verfügung, sondern auf einen Schlag würde 1 Mrd. EUR hinzukommen. Und der Staat als Agent könnte hier von seiner Steuerungskompetenz Gebrauch machen. Diese Fragen werden Ende des Monats auf einer entsprechenden Tagung auch in Hamburg, diskutiert werden.

Auf unserer Tagung war es allen Beteiligten wichtig, konkrete Ergebnisse zu schaffen. So wird Brot für die Welt gemeinsam mit Misereor das Thema weitertreiben. Wie sich gezeigt hat, fehlt dem gesamten Sektor nach wie vor die erforderliche Transparenz. True Price zeigte auf, dass die Internalisierung externer Faktoren in den Kaffeepreis ein sinnvoller Ansatz sein könnte. Michael Opitz von der Naumann Stiftung plädierte engagiert für sehr kritische und systematische Reflektion der bisherigen Ansätze. Zu viele ungeprüfte Annahmen lägen den bisherigen Initiativen zu Grunde. Also müsse man sich gemeinsam anstrengen und die Ansätze identifizieren, die am vielversprechendsten seien und nicht einfach nur das bisherige fortsetzen. Eine neue Studie von Enveritas, die vom CEO David Browning, machte deutlich, wie sehr es noch immer an Wissen und Transparenz im Kaffeebereich mangelt. Die immer wieder zitierte Zahl von 25 Mio. Kleinbauern hat, so zeigt schon eine kurze Recherche, keine Quelle. Eine ausgedachte Zahl wurde zu einem festen Bestandteil eines Narrativ. Enveriats hat eine umfangreiche Studie in über 20 Ländern durchgeführt, mit validen mathematischen Modellen gearbeitet und kommt zu einer nachvollziehbaren Zahl von ca. 12,5 Mio. Kaffeefarmen. Erstmals liegen somit jetzt robuste Zahlen vor. Derartige Validität wird dem Kaffeesektor zukünftig nutzen.

Wie agieren die global player?

Ein anderes Thema sind die großen Unternehmen. Nestlé und Tschibo stellten sich dem Diskurs in Hamburg. Doch sie schicken ihre Public Relation oder Social Responsiblity Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wichtiger wäre mit den Einkäufern zu sprechen und dies nicht einfach den internen Prozessen zu überlassen. Doch den Unternehmen, die als Akteure einen wesentlichen Einfluss auf den Markt haben, droht Ungemach von anderer Seite. In der Schweiz wird die Frage der erweiterten Unternehmenshaftung in wenigen Wochen Thema eines Referendums sein. Mit Recht für das Recht der Produzierenden zu kämpfen wird den Druck auf die globalen Unternehmen erhöhen. Dies wird auch das Thema der im Grunde genommen privatwirtschaftlichen Zertifizierung noch einmal auf den Prüfstand stellen. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit mit den NGOs der Zivilgesellschaft an Lösungen zu arbeiten, die einen gerechten Handel ermöglichen.

Die Art und Weise wie der Kaffeesektor seinen Handel betreibt, ist und bleibt empörend. 1975 konnte ein Farmer mit 4 Säcken Kaffeebohnen seine Familie ernähren. Heute braucht er dafür 34 Säcke. Ohne ein radikales Umdenken, werden wir in diesem Bereich keinen Wechsel zum Positiven erreichen. Selbstverständlich sind am Ende auch die Verbraucher gefragt, die mit jeder Kaufentscheidung ein wenig mitsteuern.

Das Thema ist komplex. Es verweigert sich trivialisierenden Ansätzen und Schuldzuschreibungen. Alle Akteure bleiben aufgefordert, weiter zu arbeiten und die Kooperation zu verstärken. Selbst wenn sie vom Gleichen sprechen, verstehen sie sich doch noch nicht. Als Mediatoren bleibt uns die Empfehlung, die Prozesse der Zusammenarbeit mediativ begleiten zu lassen.

In Hamburg jedenfalls wurde weitere konkrete Schritte beschlossen. Brot für die Welt wird das Thema weitertreiben und es haben sich eine Reihe von konkreten Kooperationen einiger Akteure ergeben. Dies alles wird (noch) nicht zum notwendigen turn around führen. Doch es stimmt einen schon auch zuversichtlich, dass so viele Menschen sich gemeinsam bemühen, mehr Gerechtigkeit in diesen Sektor des Welthandels zu bringen.

Thomas R. Henschel