AUF EINEN ESPRESSO: MEDIATION UND SEINE GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG

In den 90er Jahren waren wir optimistisch. Das weitgehend friedliche Ende des kalten Krieges suggerierte so manchem, dass die Menschheit sich jetzt auf die drängenden Fragen für ein gemeinsames Leben auf unserem Planeten konzentrieren würde. Von heute aus gesehen, stellt sich die Frage, ob es Naivität oder einfach Trägheit war, die uns die Chancen, die sich damals öffneten, nicht hat ergreifen lassen.

Wenn etwas die Chancen ergriffen hat, dann war es wohl das kapitalistische System, das umgehend in die neuen Räume vorstieß und unter Freiheit vor allem die Freiheit der Märkte verstand. Solidarität und die Frage nach dem sorgsamen und vernünftigen Umgang mit den begrenzten Ressourcen für eine weiterhin wachsende und sich immer mehr vernetzende Weltbevölkerung wurden von dieser Entwicklung ignoriert.

Gleichzeitig wurden die populistischen Bewegungen und die Ressentiments gegen die als westlich wahrgenommene Lebensweise immer stärker. Die Auseinandersetzung mit dem Islamismus, der Freiheit und Liberalismus radikal negiert, gehört ebenso dazu, wie die Abschottungspolitik Europas, der es bis heute nicht gelungen ist, eine menschenwürdige Praxis für die Migrationsbewegungen von Millionen Menschen zu konzipieren, geschweige denn zu realisieren. Populistische Präsidenten in zahlreichen Ländern – auch westlicher Prägung – höhlten und höhlen die Autonomie aller immer weiter ein und ignorieren die Vielfalt, die berechtigten Interessen und legitimen Rechte aller, die von einer Minderheit als „anders“ gelabelt werden.

Statt in Nationen und Staaten müssen wir lernen global zu denken: Eine Menschheit unter einem Himmel: nicht im Wettbewerb kämpfend, sondern kooperierende Lösungen gemeinsam für alle schaffend

Das Bild der Gegenwart ist – wie immer widersprüchlich, ja zurzeit fast deprimierend.

Wir stimmen aber nicht in den Kanon derjenigen ein, die behaupten, alles sei schlechter geworden. Es gibt an vielen Punkten Fortschritte wahrzunehmen. Die Sensibilität für die Rechte des globalen Südens gehört in einer neuen Generation im globalen Norden ebenso zum Repertoire wie die Besorgnis über den menschengemachten Klimawandel. Es ist eindeutig, dass wir als Menschheit diese Probleme und Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Covid hat überdeutlich gemacht, dass der Virus nur dann in den Griff zu bekommen ist, wenn uns das weltweit gelingt. Auch hier haben Populismus und eine Medienlandschaft, die von Schockmeldungen lebt, zur Verstärkung des Problems beigetragen.

Der Schock eines archaischen und brutalen Krieges in Europa, initialisiert und geführt von einem Regime, das die grundlegenden Rechte der Menschen mit Füßen tritt und für eine erschreckende Weltordnung kämpft, sitzt tief. Seine Auswirkungen werden uns mindestens eine Generation lang beschäftigen und sind noch gar nicht abzusehen.

Schaut man auf die positive Seite, so finden sich eine Vielzahl von Initiativen und Debatten, die der Verteidigung und dem Ausbau von Autonomie, Freiheit und Solidarität gelten. Immer deutlicher wird, dass die Weltordnung, die auf Nationalstaaten beruht, angesichts globaler Krisen längst an ihre Grenzen gekommen ist.

Wir sind eine Menschheit unter einem Himmel und wir müssen lernen, das wir die Welt nicht uns untertan machen können, sondern im Einklang mit der Natur leben müssen. Wir müssen lernen die drängenden Fragen der gerechten Verteilung der Ressourcen zu klären und umzusetzen. Dies wird nur durch eine echte Kooperation gelingen.

Diese Art von Appellen ist nicht neu. Was noch fehlt ist das Verständnis dafür, dass wir als Menschheit auch über das Wissen und die Methoden verfügen, wie Kooperation tatsächlich gelingen kann. Lokal, regional und global!

 

Mediative Kompetenzen sind allgemeines Menschheitswissen – zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen sie angewandt, um ihre Differenzen einvernehmlich und interessenorientiert zu klären und zu regeln.

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen mediative Kompetenzen angewandt, um ihre Differenzen einvernehmlich und interessenorientiert zu klären und zu regeln. Mediation zeigt auf, was notwendig ist, damit Kooperation gelingen kann und wir aus der Vielfalt von Perspektiven einen Mehrwert für alle schaffen können. Mediation liefert uns das Wissen und die Fähigkeit, wie aus Vielfalt ein Mehrwert für alle geschaffen werden kann. Mediation empowert und verwandelt Betroffene zu Beteiligten, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Mediation verfolgt die konkrete Utopie, das für die Zukunft nicht nur das gedacht wird, was wahrscheinlich ist, sondern das erdacht werden kann, was darüber hinaus möglich ist. Ohne diese konkrete Utopie wäre die Zukunft nur die Fortschreibung der Vergangenheit, ohne das wirklich etwas Neues entsteht. Das können wir uns jedoch nicht leisten. Es braucht in fast allen Bereichen neue Ansätze und dafür braucht es neue Ideen, Fantasie und die Kraft zu Experimenten.

Kooperation schafft Frieden, Solidarität und damit die Voraussetzungen zur Bewältigung der existentiellen Krisen der Gegenwart. Doch Mediation ist auch nicht naiv. Mediation braucht auch die Stärke und den Schutz grundlegender Menschenrechte gegen die mächtigen Feinde von Autonomie und Freiheit. Doch diese Feinde sind eben nicht nur die Populisten oder einzelne Akteure, sondern sind systemisch zu verorten und müssen daher auch systemisch analysiert und bekämpft werden.

Wir wissen uns in unseren Bemühungen nicht allein: Mediation reiht sich ein in eine Vielzahl von Bewegungen, die sich diesen ernsthaften Problemen konstruktiv zu stellen versuchen. In der Wirtschaft finden sich erste Ansätze: Neues Denken für die Art und Weise, wie Unternehmen geführt werden und wie alle am Unternehmen sich beteiligen. Stakeholder, die sich ihrer Verantwortung für gerechte Teilhabe und Verteilung bewusst sind. In der Politik müssen die Ansätze, die einer globalen und eben nicht einer internationalen Logik folgen, gestärkt werden. Gerade bei den Nicht-Regierungsorganisationen finden sich bereits zahlreiche Beispiele, die sich global organisieren und engagieren. Mediative Kompetenzen sind hier überall gefragt und werden tagtäglich eingesetzt, um bessere Lösungen zu finden – gemeinsam, solidarisch und engagiert für eine bessere Zukunft.

Man kann die Probleme der Gegenwart einfach hinnehmen, verzweifeln oder sich zumindest bemühen, an ihrer Lösung mitzuwirken. Wer Mediation macht, wer mediative Kompetenzen in seiner Umgebung umsetzt, fördert Kooperation und leistet einen Beitrag dazu.

Berlin im Mai 2023